Die Schule ist aus. Heinrich und Gerhard gehen gemeinsam nach Hause. Sie sind Klassenkameraden. Es ist ein heißer Sommertag. „Wie wäre es, wenn wir morgen, am Sonntag, nach Hohnstorf führen?“ meint Gerhard. „Ich war schon oft mit meinem Vater dort. Auf der Hinfahrt benutzen wir den Zug, und nach Hause fahren wir mit dem Rade über Artlenburg.“ — „Das ist großartig“, stimmt Heinrich dem Vorschläge zu. Voller Begeisterung erzählen beide den Eltern ihren Plan. Diese willigen ein. Die Rucksäcke werden von den Müttern schon am Abend gepackt.

Haltestelle Hohnstorf, Zug in Fahrtrichtung Lauenburg.

Bahnhof Hohnstorf

Mit dem ersten Zug geht’s am Sonntagmorgen los. Das Wetter ist herrlich. Hinter Adendorf fährt der Zug über den Neetzekanal und die Neetze. Weites, ebenes Land dehnt sich zu beiden Seiten aus. Der Zug hält in Echem, überall auf den Weiden sind Kühe, prachtvolle Kühe. Sie gehören in der Hauptsache zu der Lehrwirtschaft, die hier im Dorfe ist. Zwischen Echem und Hohnstorf überquert der Zug die Wetter, einen Graben, der wichtig für die Entwässerung der Marsch ist. ln Hohnstorf steigen die Freunde aus. Heinrich, der zum ersten Male hier ist, schaut sich verwundert um. Zunächst muß er über den kleinen Bahnhof lachen.

Der Bahnbeamte ärgert sich darüber und sagt: „Warum lachst du über unseren Bahnhof? Du weißt ja gar nicht, daß hier vor 80 Jahren ein sehr starker Eisenbahnverkehr war. Da schau hin! Der alte Bahnhof steht da noch.“ Und damit zeigt er auf ein großes Gebäude, das östlich der Bahn liegt. „Dieser Bahnhof war der zweitgrößte im Hannoverland.“

— Damals war Hohnstorf ein Grenzbahnhof! Keine Brücke führte zum jenseitigen Ufer. Und doch konnten die Eisenbahnwagen auf die Lauenburger Seite kommen. Sie wurden von zwei Trajektfähren hinüberbefördert. 1878 wurde dann eine große Brücke gebaut, weil die Fähren den Verkehr nicht mehr schaffen konnten. Das ist aber nicht diese Brücke. Die alte Brücke wurde am 19. 4. 1945 von deutschen Soldaten in die Luft gesprengt. 1952 wurde diese neue, schöne Brücke gebaut, die zugleich als Fahrstraße benutzt wird.

Die Jungen gehen auf dem Deich dem Badestrand zu. Dort ist es schön. Sie entkleiden sich und springen dann durch das seichte Wasser. Wenn Dampfer oder Schleppzüge vorbeifahren, plätschern die Wellen an den Strand. Das ist ein Spaß! Den ganzen Vormittag tummeln sich beide im Wasser oder am Strand. Dann legen sie sich in den Schatten des Eichenwäldchens. Vom Strand dringt das Rufen und Kreischen vieler Menschen zu ihnen, und von ferne hören sie das Tuckern der Motorfähre, die Menschen über den Elbstrom setzt. Dann essen sie beide, denn sie haben einen Bärenhunger.

Am Nachmittag ziehen sie sich wieder an, um die Heimreise anzutreten. Sie stapfen durch den weißen Sand und schieben ihre Räder. Es geht an Fischernetzen vorbei, die zum Trocknen aufgehängt sind. Bald setzen sie sich aufs Rad. Die Straße führt unten am Deich entlang, dort, wo auch die Häuser sind. Sie kommen in das schöne Dorf Artlenburg. Breit und wuchtig steht die Kirche da. „Hier war früher eine Burg, die den Elbübergang schützte“, erklärt Gerhard. „Hermann Billung, der Sachsenherzog, hat sie zum Schutz gegen die Feinde erbaut. Im Jahre 1945, als die Engländer an die Elbe rückten, wurden in Artlenburg wie auch in dem benachbarten Avendorf mehrere Häuser beschädigt. Du siehst jetzt davon fast nichts mehr. Die fleißigen Einwohner haben ihre zerstörten Gebäude wieder aufgebaut.“

So radeln die Jungen unter mancherlei Erzählungen Lüneburg zu. In Lüdershausen überqueren sie wieder die Neetze. Dort steigen sie ab. Gerhard zeigt neetzeaufwärts und sagt: „Heinrich, schau dort hinten am Horizont den kleinen Wald! Das ist die Weckenstedt. Dort in den hohen Eichen haben die Reiher ihre Horste.“ „Sieh nur, am Ufer der breiten Neetze spaziert einer entlang!“ ruft Heinrich. „Jetzt geht er mit einem Frosch ab.“ Sie sind am Reihersee, durch den die Neetze fließt. Die Straße liegt erhöht in der Landschaft. Die Kühe sind auch in den Abendstunden noch auf der Weide. „Kommen sie denn gar nicht in den Stall?“ fragt Heinrich seinen Freund. „Nein, sie bleiben während des ganzen Sommers draußen. Sie werden auf den Weiden gemolken“, erklärt Gerhard.

Nachdem sie Brietlingen durchfahren und den Neetze-Kanal überquert haben, geht es etwas bergan. Die Straße führt durch einen großen Kiefernwald. Gerhard wird müde. „Laß uns absteigen und die letzte Strecke des Berges schieben. Man merkt doch, daß man nicht mehr in der Marsch ist.“ Bei der Adendorfer Ziegelei steigen sie wieder auf. Jetzt geht es in herrlicher Talfahrt nach Lüneburg. In der Abenddämmerung liegt die Stadt vor ihnen in einem weiten Kessel.

Abgespannt, doch mit frischen Wangen kommen sie nach Hause.

Herbert Ahlers

Quelle:
"In Marsch und Geest"
v.Stern'sche Buchdruckerei KG. Lüneburg 1952
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