Wir besteigen in Lüneburg den Zug nach Lübeck. Nach etwa 20 Minuten Bahnfahrt gelangen wir bei Hohnstorf an die Elbe. Noch bevor der Ort erreicht ist, merken wir am Schnaufen der Lokomotive, daß es bergan geht. Ein mächtiger Bahndamm ist hier aufgeschüttet.
Er muß uns auf die Höhe der neuerbauten Brücke bringen, die hier den breiten Strom überspannt. Jetzt donnert der Zug über sie hinweg. Vom jenseitigen Ufer grüßen die roten Backsteinbauten der Stadt Lauenburg. Unter uns durchpflügt gerade ein Schlepper mit seinen Schaufelrädern die Fluten. Neun Lastkähne hat er zu ziehen. Am Strande von Hohnstorf herrscht ein reges Badeleben. Ein herrliches Bild bietet sich uns von hier oben.
Kurze Zeit später sitzen wir in dem engen Stübchen eines alten Fischers. Er soll uns etwas über die erste Brücke erzählen; denn die heutige kann noch nicht sehr alt sein. Das sieht man sofort.
Der Fischer stopft sich umständlich seine Pfeife und fängt an:
„Als ich noch ein ganz kleiner Junge war, gab es hier überhaupt noch keine Brücke über die Elbe. Damals wurde gerade die Eisenbahnstrecke Lüneburg—Lübeck gebaut. Aber hier in Hohnstorf hörten die Schienen auf, und erst drüben in Lauenburg gingen sie weiter. So blieb also nichts anderes übrig, als die Eisenbahnwagen mit einer Fähre hinüberzubefördern. An Drahtseilen ließ man die Wagen langsam auf das Fährschiff hinabrollen. Einmal, mein Vater hat diese Geschichte oft erzählt, hat der Mann an der Winde nicht aufgepaßt, und zwei der Güterwagen stürzten in den Elbstrom. Alles Geschrei des Fährmanns nützte nichts mehr, und nur mit Mühe konnte ein großer Kran aus Hamburg sie wieder aus dem Wasser holen. Menschen sind zum Glück nie zu Schaden gekommen. Die Reisenden mußten während des Übersetzens die Wagen auch immer verlassen.
Die erste Brücke wurde 1878 fertig. Die Eisenbahnfähre brauchte man nun nicht mehr. Sie hatte 14 Jahre lang ihren Dienst zwischen Hohnstorf und Lauenburg versehen.
Als der erste Zug über die Brücke fuhr, war ich noch ein Schuljunge. 70 Jahre hindurch rollten nun Tag für Tag die Züge vom heutigen Niedersachsen nach Schleswig-Holstein hinüber, bis zum 19. April 1945. Diesen Tag wird wohl kein Hohnstorfer wieder vergessen. Es war abends gegen 19 Uhr. Da erschütterte plötzlich eine gewaltige Sprengung die Luft. Verbogene Eisenteile und große Gesteinsbrocken schlugen klatschend auf das Wasser und versanken in der Elbe. Als die Menschen erschreckt aus ihren Häusern stürzten, sahen sie nur noch die aus dem Wasser ragenden Stümpfe der Brückenpfeiler, die so lange die schlanken Bogen der Brücke getragen hatten.
Wenige Tage vor Kriegsende war sie also noch gesprengt worden.
Auf einer Flußlänge von 160 km, zwischen Hamburg und Dömitz, gab es nun keinen einzigen Übergang mehr. Es half nichts. Die Brücke mußte neu gebaut werden. Da aber der Autoverkehr inzwischen immer mehr zugenommen hatte, sollte sie diesmal nicht nur als Eisenbahn-, sondern gleichzeitig auch als Straßenbrücke erstehen.
In knapp 13 Monaten wurde dieser 517 m lange, stählerne Riese fertig- gestellt. 500 Arbeiter haben zeitweise daran mitgeholfen; 3600 t Stahl und 2600 t Zement wurden für die Brücke verbraucht. Am 20. Mai 1951 weihte der Verkehrsminister sie ein. Seit diesem Tage rollen täglich etwa 40 Züge über ihren stählernen Leib. Das Band der Autos, Radfahrer und Fußgänger reißt selten ab. An einem Tag wurde der Verkehr einmal genau gezählt. 1150 Radfahrer und 650 Autos waren es, die in beiden Richtungen den Strom überquerten. Noch viel mehr würden es sein, wenn die Grenze nach Mecklenburg offen wäre.“
Quelle: "Das Lüneburger Land" August Lax, Verlagsbuchhandlung 1953